Dem Konsumismus trotzen! Das Abseits als wirtlicher Ort
Marianne Gronemeyer
»Man kann von der Klaustrophobie der Menschheit in der verwalteten Welt reden, einem Gefühl des Eingesperrtseins in einem … netzhaft dicht gesponnenen Zusammenhang. Je dichter das Netz, desto mehr will man heraus, während gerade seine Dichte verwehrt, dass man heraus kann.« Adorno hat darin recht: wir sind eingesperrt. Aber er hat Unrecht in der Annahme, dass diese Verbarrikadierung mehrheitlich Fluchtimpulse auslöst. Die Klaustrophoben, die ›nichts- wie-raus-hier‹ wollen, sind eine kleine Minorität. Die überwiegende Mehrheit der Ambitionierten will nicht raus, sondern rein und hält sich etwas darauf zugute, bestens ›integriert‹ zu sein. Der Moloch erfährt viel Zustimmung und Bejahung. Und nicht die Furcht, von ihm verschlungen zu werden, sondern die Furcht, von ihm ausgespien zu werden, beherrscht die Systeminsassen.
Aus der Zeitschrift „brennstoff 37“Medieninhaber und Verleger
GEA Verlag, Lange Gasse 24, 1080 Wien: verlag@gea.at
Herausgeber: Heinrich Staudinger
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Bemerkenswertes Interview mit einem Wissenschafter – 13.Okt.2010
http://derstandard.at/1285200656759/derStandardat-Interview-Banken-erfinden-Geld-aus-Luft
AUSZUG
derStandard.at: Sie wünschen sich also eine neue Weltordnung?
Franz Hörmann: Globalisierung richtig verstanden, bedeutet, dass es keine Standortpolitik mehr gibt. Es gibt nur einen Standort, und das ist der Planet Erde. Und es gibt auch nur eine Nation, das ist die Menschheit. Diese ist natürlich vielfältig, und muss liebevoll und empathisch miteinander kommunizieren. Wir müssen auch die Vertreter der sogenannten Elite, dort abholen, wo sie heute stehen. Wir dürfen keine Sündenböcke suchen. Denn wir müssen ihre Verlustängste berücksichtigen und sagen: Ihr werdet zwar etwas verlieren, aber das sind nur Zahlen auf Papier oder Displays. Und wenn ihr mitarbeitet, dann können wir jede Form von Lebensstandard schaffen und zwar für eine breite Bevölkerung. Das schafft dann auch Sicherheit, weil es keinen Neid mehr geben wird.
Hier ein spannender Text zum Thema Bildung,
der als pdf heruntergeladen kann
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„Es kommt nicht darauf an,
wie klein oder bescheiden eine Aufgabe ist,
jede Aufgabe ist eine Welt für sich.
Ein Garten, ein Haus oder ein Brunnen
können das Universum ersetzen.
Dies ist lediglich eine Frage der Einbildung,
der inneren Schau, nicht des Hinsehens.
Die Weisheit eines Kindes
oder das Talent eines Künstlers genügen, zu entdecken,
dass eine Wand, ein Teich, eine Treppe
ein Geheimnis für den bergen, der zu sehen wagt.
Sobald man dieses Potential entdeckt,
steht die Zeit still und die Magie beginnt.
Ein Brunnen vermag die Bewegung von Flüssen,
von Meer zu suggerieren,
er ist ein Brennglas oder ein Wasserfall.
Wände haben Textur, Öffnungen, Farben und Schatten,
um die sie Maler beneiden.
Ein Busch kann ein Wald sein,
die Treppe Abenteuer und Vergnügen.
Dies alles zu entdecken braucht Phantasie
und Kreativität.
Ein Kind versteht das, ein Künstler weiß,
dass ein Brunnen tausend Möglichkeiten sein kann,
die Licht, Zeit, Farben und Natur bergen.“
(Luis Barragan, argent. Architekt, 1902 – 1988)
Denken mit dem Herzen – Kinder und Fernsehen
Interview mit Joseph (Joe) Chilton Pearce
(geführt von Chris Mercogliano und Kim Debus)
Chris: Die moderne Gehirnforschung hat ziemlich erschütternde Entdeckungen über das menschliche Herz gemacht. Können Sie uns das bitte in einfachen Worten erklären?
Joe: Die Idee, dass wir auch mit unserem Herzen denken, ist nicht mehr bloss eine Vorstellung, sondern ein sehr reales Phänomen. Es hat sich durch unsere Forschungen überall gezeigt, dass das Herz das eigentliche Zentrum der menschlichen Intelligenz ist. Molekular-Biologen haben entdeckt, dass das Herz die wichtigste endokrine Drüse im Körper ist. Als Antwort auf unsere Erfahrungen, die wir mit unserer Welt machen, produziert und verteilt es ein wichtiges Hormon, nämlich das ANF (Atriol Neuriatischer Faktor), welches vor allem Auswirkungen hat auf das, was wir das emotionale (limbische) Gehirn nennen. Dazu gehören auch unser Erinnerungs- und Lernzentrum sowie das Kontrollzentrum für das gesamte Hormonsystem.
Und Herzspezialisten, die sich mit den Nervenstrukturen befassen, haben herausgefunden, dass 60 bis 65 % des Herzens Nervenzellen sind, nicht Muskelzellen – wie man bisher geglaubt hat. Diese Nervenzellen sind die selben wie die Gehirnzellen, sie arbeiten mit den selben Verbindungen, welche wir Ganglien nennen und mit den selben Neurotransmittern, wie sie auch im Gehirn sind.
Sprichwörtlich heisst das also: Es gibt ein Gehirn in unserem Herzen, deren Ganglien mit jedem grossen Organ in unserem Körper verbunden sind sowie mit allen Muskelspindeln, welche es den Menschen ermöglichen, ihre Gefühle auszudrücken. Ungefähr die Hälfte der Nervenzellen des Herzens sind damit beschäftigt, die Informationen zu übersetzen, welche von überall her im Körper kommen, um den Körper als ein harmonisches Ganzes am Laufen zu halten. Und die andere Hälfte hält eine sehr grosse, komplizierte Verbindung zum emotionalen Gehirn, nämlich ein 24-Stunden-pro-Tag-Gespräch zwischen Herz und Gehirn – was wir meistens nicht einmal wahrnehmen. &ldots;
Das Wichtigste aber von dem, was wir erkannt haben ist, dass der Wellenbereich des Herzens zutiefst davon beeinflusst ist, wie wir gefühlsmässig auf unsere Welt reagieren. Diese emotionale Reaktion verändert die elektromagnetische Schwingung des Herzens, welche wiederum das Gehirn in Gang hält. Somit hängt alles in unserem Leben von unserer emotionalen Antwort auf die verschiedensten Erfahrungen ab.
Chris: In welchem Zusammenhang stehen diese neuesten Erkenntnisse mit einer gesunden Entwicklung von Kindern?
Joe: Die emotionale Erfahrung von Kindern, d.h. wie sie sich selber fühlen und wie sie sich in ihrer Umwelt fühlen, hat eine enorme Auswirkung auf ihr Wachstum und ihre Entwicklung. Es ist die Grundlage, auf welcher ihr Lernen, ihr Gedächtnis, ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden aufbauen. Wenn diese emotionale Struktur für ein Kind nicht stabil und positiv ist, dannn wird kein Entwicklungsprozess darin voll funktionieren können. Jede weitere Entwicklung wird dann nur eine Kompensation für das Fehlende sein.
Wenn man also intelligente, erfolgreiche und gesunde Kinder haben möchte, dann ist es das aller Vordringlichste, dass sie grundlegend positive Erfahrungen machen. Das beginnt damit, dass sich Kinder bedingungslos gewollt, angenommen und geliebt fühlen. Das ist der Schlüssel für alles weitere. Man kann alles haben im Leben: einen hohen Lebensstandard, das teuerste Schulsystem, die besten Lehrer der Welt – aber wenn Kinder diese anfängliche Erfahrung nicht machen konnten, dass sie zumindest von einer Person bedingungslos geliebt worden sind, und wenn sie sich in ihrer Lernumgebung nicht sicher und gehalten fühlen, dann wird sich nicht sehr viel Positives entwickeln. Das kann nicht genug betont werden.
Chris: Da sind ziemlich viele Dinge inbegriffen, wie wir unsere Kinder lehren sollten, oder?
Joe: Das Interessante dabei ist, dass es nur zwei Arten von Lernen gibt. Das eine ist das wahre Lernen und das andere ist das Konditionieren. Konditionieren ist eine angsterfüllte Antwort auf etwas von unser Gefordertes, welche aus dem alten Reptilhirn kommt. Dieses Gehirn reagiert mit Reflexen auf Überlebensfragen, wenn es sich also bedroht fühlt. Hier findet zwar eine Art von Lernen statt, aber diese ist verbunden mit Feindseligkeit, Zorn und Angst.
Wenn wir das wahre Lernen für unsere Kinder wollen, welches vor allem in den höheren Stirnlappen stattfindet und das intellektuelle, kreative Gehirn anspricht, dann muss dazu die emotionale Umgebung positiv und unterstützend sein. Denn beim geringsten Anzeichen von Angst schaltet das Gehirn auf den Reptilteil um, in die Abwehr.
Im Grunde genommen beginnt das schon bei der Entwicklung des Fötus im Bauch der Mutter. Schon hier entscheidet das Wohlgefühl der Mutter darüber, auf welchen Teil sich die Entwicklung des kindlichen Gehirns konzentrieren wird: auf die kreativen Stirnlappen oder auf das auf Überleben ausgerichtete Reptilhirn. Und diese explosive Information passt genau dazu, dass das Herz das erste Organ ist, welches sich im Fötus innerhalb der ersten zehn Tage nach der Empfängnis entwickelt.
Kim: Okay, aber was ist mit den Kindern, die in einer negativen Familie aufwachsen und die nie diese bedingungslose Liebe gespürt haben? Was kann getan werden, damit sie trotzdem zu einer ganzen Persönlichkeit heranreifen?
Joe: Nun, es kommt auch hier wieder auf das selbe heraus. Die Kinder, von denen Sie sprechen haben keine Herz-Hirn-Nahrung bekommen. Sie haben in einem Umfeld der tiefen Entbehrung gelebt, und das einzige, was man tun kann ist, dass man ihnen irgendwie ein nährendes Umfeld bietet, in dem sie sich sicher, geliebt und willkommen fühlen. Ich weiss, das hört sich so einfach an, aber das ist in Wirklichkeit die ganze Geschichte. Diese jungen Menschen brauchen hörbar-stimmliche Kommunikation, Genährtwerden, Spiel, körperliche Bewegung, Augenkontakt, liebevolle Klänge und eine nahe Herzensbeziehung auf der körperlichen Ebene.
Chris: Haben Sie nicht irgendwann einmal gesagt, dass Kinder mit viel kreativer Vorstellungskraft nie gewalttätig sind?
Joe: Nun, es gibt in Schweden eine Gruppe von Ärzten, die meinet, dass genau das zutrifft. Ihre Studien zeigen, dass Kinder, welche eine gute Fähigkeit haben, sich ihre innere Welt vorzustellen und auszumalen, niemals gewalttätig werden. Und wenn immer sie mit Gewalt konfrontiert werden, dann sind sie fähig, sich alternative Lösungen vorzustellen und auch umzusetzen.
Chris: Sie sagten doch einmal, dass das Fernsehen der Erzfeind der Vorstellungskraft ist. Was macht denn das Fernsehen im besonderen mit den Kindern?
Joe: Fernsehen verhindert sprichwörtlich das neuronale (Nerven-) Wachstum in den sich entwickelnden Gehirnen der Kinder. Wenn kleinere Kinder zu viel fernsehen, dann unterdrückt das die Fähigkeit ihres Gehirns, sich im Inneren ein Bild von etwas, jemandem oder von einem Ereignis zu machen, welche(s/r) nicht durch die direkte Wahrnehmung fassbar ist. Denn das ist genau das, was wir unter Vorstellungskraft verstehen.
Forscher haben geglaubt, dass es nur der Inhalt einer Programmierung ist, welcher die Kinder negativ beeinflussen würde. Wir haben jetzt aber genügend Beweise, die zeigen, dass auch die Technologie von Geräten in sich selbst sehr schädigend ist. In anderen Worten: das einfache Fernsehen hat grundlegend negative Auswirkungen auf die körperliche Beschaffenheit von menschlichen Wesen.
Chris: Wie gibt es das?
Joe: Das ist eine lange Geschichte, die zurückreicht in die frühen 1960er Jahre. Schon damals hat man gesehen, dass sich der Verstand von Kindern vor dem Fernseher radikal verändert. Das hat damit zu tun, wie das Gehirn auf strahlendes Licht reagiert, welches ja die Lichtquelle von Fernseh- und Computerschirmen ist, und ebenso wie es auf reflektiertes Licht reagiert, welches uns die Seherlebnisse vor diesen Geräten ermöglicht. Es ist zu kompliziert, das alles ganz genau zu erläutern. Ich möchte nur hervorheben, dass das Gehirn dazu neigt, sich als Antwort auf die Strahlung völlig abzuschalten. Wir haben alle schon gesehen, wie hypnotisiert Kinder werden, wenn sie einige Zeit vor dem Fernseher sitzen.
Meine grössten Bedenken gehen in die Richtung, wie die Fernseh-Industrie diese Auswirkung ausnutzt, indem sie sogenannte Schockeffekte in die Kinderprogramme eingebaut hat. Ein Schockeffekt ist etwas, was das Gehirn anregt zu denken, dass es dort irgendwo einen Notfall gäbe und es dann dazu auffordert, dieser Quelle der Störung totale Aufmerksamkeit zu schenken.
Das Fernsehen vervollständigt das noch mit plötzlichen und dramatischen Veränderungen der Intensität des Lichtes oder des Tones und einer dauernden rapiden Veränderung der Kamera-Einstellung. Schliesslich, wie auch immer, beginnt sich das Gehirn daran zu gewöhnen; es erkennt, dass es sich hier nur um ständig falschen Alarm handelt und schaltet ab. Es ist dabei so weit gekommen, dass die Fernsehindustrie ungefähr alle zehn Jahre diese Schockeffekte vergrössern hat müssen, bis wir schliesslich jetzt regelrechte Gewaltausbrüche in den Kinder-Fimlen sehen, welche durchschnittlich sechzehn Mal pro halber Stunde gezeigt werden.
Und genau hier aber ist die Art des Programmes von entscheidender Bedeutung. Während nämlich die höheren Teile des Gehirns (Neokortex) wissen, dass die Bilder im Fernsehen nicht wirklich sind, weiss das das Reptilgehirn überhaupt nicht. Das bedeutet: wenn ein Kind Gewalt im Fernsehen sieht, sendet das Reptilgehirn umgehend eine Reihe von Warnsignalen hinauf zum emotionalen Gehirn, welches wiederum sofort mit dem Herz in Verbindung tritt.
In dem Moment, wo das Herz Hinweise auf Negativität oder Gefahr bekommt, fällt es völlig heraus aus seiner gewöhnlichen harmonischen Gangart in eine sehr unzusammenhängende und löst dabei die Abgabe eines der stärksten Hormone in den Körper aus, nämlich des Kortisols. Das Kortisol bringt das Gehirn in einen Zustand der ständigen, vollen Aufmerksamkeit und fordert es dazu auf, Trillionen von neuralen Verbindungen zu schaffen, um das Individuum bereit zu machen, sich mit einem Notfall auseinander zu setzen.
Sobald dann das Herz die Botschaft bekommt, dass keine direkte Gefahr besteht, fördert es die Abgabe eines anderen Hormons, um die aufgebauten neuronalen Verbindungen wieder loszulassen, die nicht gebraucht wurden.
Das Schlimme an den heutigen Kinder-Fernseh-Programmen ist, dass es eigentlich nie wirkliche Enttäuschung gibt. Und das Gehirn eines durchschnittlichen amerikanischen (westlichen) Kindes, welches ca. 5000 bis 6000 Fernsehstunden hinter sich hat, wenn es fünf oder sechs Jahre alt wird, leidet an einer ziemlich grossen Verwirrung. Die massive Überstimulierung verursacht im Gehirn Fehlanpassungen in einem Ausmass, das wir nie für möglich halten würden. Es bricht sprichwörtlich auf allen Ebenen der nervlichen Entwicklung zusammen.
Kim: Können Sie uns dafür bitte ein Beispiel geben?
Joe: Das Deutsche Psychologische Institut hat eine 20-Jahr-Studie gemacht, bei der es 4000 jener Kinder pro Jahr begleitet hat, welche bis zu ihrem sechsten Geburtstag durchschnittlich 5000 bis 6000 Stunden ferngesehen haben. Wissenschafter haben gesehen, dass junge Leute vor zwanzig Jahren ungefähr 360 Farbschattierungen unterscheiden konnten, wie rot oder blau. Jetzt sind es nur mehr 130. Das sind also zwei Drittel Verlust, was man als neuro-kognitiven Zusammenbruch bezeichnen kann.
Was aber noch viel verblüffender ist, ist die Tatsache, dass das Gehirn fast völlig zusammengebrochen ist im Bezug auf das gesamte bewegungsorientierte und sensitive System. Es ist so, dass diese Systeme heute bei Kindern wie isolierte Bereiche in ihrem Gehirn funktionieren, was sie immer unfähiger macht, ganzheitlich zu funktionieren. Wenn sie also in einen Bereich versetzt werden, der ihnen keine starken, erregenden Stimulationen bietet, dann werden sie hochgradig von Angst erfasst, gelangweilt und neigen stark zu Gewalt.
Gemäss diesen Studien nimmt auch die Fähigkeit der Kinder rapide ab, auf ihr Umfeld angemessen zu reagieren und sie überhaupt wahrzunehmen.
In anderen Studien hat man herausgefunden, dass der Grad der Merkfähigkeit von Inhalten beim Fernsehen und am Computer unvergleichbar niedriger ist, als bei Lesen oder Hören von Dingen – d.h. oft nur 3 bis 20 % im Unterschied zum Lesen und Hören, wo sie durchschnittlich 85 % beträgt. Das sollte uns wirklich nachdenklich machen.
Chris: Abgesehen von Fernsehern und Computern habe ich den Eindruck, dass viele junge Menschen das Gefühl haben, irgendetwas in Leben zu vermissen. Haben Sie das auch schon festgestellt?
Joe: Die Zeit der Pubertät ist an und für sich eine sehr schwierige.
Kim: Das ist jene Zeit, in welcher andere Kulturen die jungen Leute ermutigen, ihr spirituelles Wachstum voranzutreiben. Ist es nicht genau das, was unsere Gesellschaft völlig vermisst?
Joe: Diese Dinge sind in unsere Gesellschaft völlig ausgeschlossen, weil sie keinen wirtschaftlichen Wert haben. Viele Industriezweige gehen davon aus, dass sie die Kinder und Jugendlichen nicht nur beeinflussen, sondern dass sie sie im wahrsten Sinne des Wortes BESITZEN. In anderen Worten: wir haben unsere Gesellschaft momentan völlig konsumorientiert ausgerichtet.
Wir können das System im Ganzen nicht verändern, aber wir können an uns selbst arbeiten und an die Eltern appellieren, die gewillt sind zu hören: dass sie ihre Kinder aus dieser gefährlichen Entwicklung herausnehmen und sie davor schützen.
Und es gibt auch enorme Hoffnung, welche man in vielen kleinen Nischen auf der ganzen Welt entdecken kann, Beispiele wo sich Menschen in höchst engagierter Weise mit den zunehmend unzusammenhängenderen Systemen auseinander setzen. Und wenn sich dieser globale Wirtschafts-Albtraum nun selbst zu zersetzen beginnt, dann werden diese kleinen Nischen jene Fähigkeiten und Weisheiten bereitstellen können, welche wir für die notwendigen Veränderungen benötigen und um uns eine Welt zu schaffen, in der die Kinder ihr höchstes Potential entwickeln können. Diesbezüglich bin ich sehr optimistisch.
Kurswechsel. Routenplaner zur Lebensqualität
Gerald Koller
Der gesellschaftliche Umbruch, in dem wir uns befinden, ist grundlegend. Er fordert von uns allen einen umfassenden Kurswechsel: vom WAS zum WIE, von der Epoche des überzogenen Egoismus’ zum Zeitalter der Netzwerke, von der Orientierung am quantitativen Wachstum hin zur Lebensqualität.
Menschen, Betriebe und Organisationen werden diesen Kurswechsel nur dann bewerkstelligen können, wenn sie nicht von der Illusion geblendet werden, dass alles wieder so wird, wie es einmal war – und nicht von Panik erfasst, die wie das Karnickel auf die Schlange der Krise starren lässt. Denn nur durch jene, die das Wagnis eingehen, neue Horizonte anzusteuern, ist ein Kurswechsel möglich.
Ob diese neuen Horizonte jemals erreicht werden, steht noch nicht fest: Die Route führt duch unsicheres, für viele unbekanntes Gewässer. Eines jedoch darf als sicher gelten: Der Kurswechsel gelingt nur, wenn er gemeinsam versucht wird.
So heisst es einleitend zu Gerald Koller’s Buch „Kurswechsel“. Und weiter ist dort zu lesen:
Der Leuchtturm des Kaptials und des unbegrenzten Wachstums ist erloschen. Einige arbeiten noch fieberhaft und mit hohem finanziellen Einsatz an seiner Restaurierung. Doch das Flämmchen flackert nur nervös und ohne Leuchtkraft. Niemand vertraut ihm mehr. Die Menschen stehen am Ufer des dunklen, bewegten Meeres und starren in die Finsternis. Was bisher Richtung gab, hat sich als Irrlicht entpuppt. Wohin sich wenden?
Doch da brennen ja seit langer Zeit stabile Leuchtfeuer abseits am Ufer. Sie leuchten einen zuverlässigen Kurs über die Wellen aus. Die Menschen wenden den Blick hin zu diesen Orientierungspunkten, die ihnen Zuversicht geben, um im Neuland Lebensqualität zu finden.
Der Flottenverband bricht auf: mit verschiedenen Booten und mit unterschiedlichem Tempo, aber auf gemeinsamer Route – und mit Zuversicht, dass der offene Dialog Mut macht und alle dem Ziel näher bringt. …
Kurs auf Zufriedenheit
Die folgenden Gedanken … fragen nach langfristigen Kurszielen für die westliche Welt in einem Moment, in dem viele Bestrebungen nach Erfolg, Sicherheit und Gewinn sich als vergeblich entpuppt haben, weil sie den ersehnten Hafen des Glücks nicht zu finden vermögen. In solchen Zeiten sind Menschen und Gesellschaften anfällig für haltlose Heilsversprechungen oder aber dafür, die Flucht nach vorne anzutreten.
Nun: Das ersehnte Heil liegt nicht im verlorenen Gestern der alten, gewohnten, aber nicht mehr gültigen Rechte. Und auch die schnelle Flucht ins Morgen täuscht, weil sie das Trugbild der scheinbaren Sicherheit aufrecht erhält.
Der Ruf aber, der in jeder Krise wie in der Krankheit an uns ergeht – jener nach Besinnung, Erholung und Veränderung –, er bleibt auf diese Weise ungehört. Nächste, meist noch massivere Krisen sind dann oft die Folge.
… Um das Lebensschiff zuversichtlich lenken zu können, braucht es nicht die überhitzten Turbomotoren der Gier, sondern Bootsbesatzungen, die Achtsamkeit im Umgang mit den eigenen Antrieben, aber auch mit den Windverhältnissen, Trugbildern, Strömungen und Untiefen des globalen Meeres entwickeln, auf dem wir uns als Menschheit bewegen: eine Haltung, die ich als neue Bescheidenheit erkenne. …
Eine Währung, die keine Verluste schreibt: Sozialkapital
Geld ist ein Produkt des Denkens – und daher in seiner Bewertung auch von kollektiven Überzeugungen, Vereinbarungen und Gefühlen abhängig. Der ideelle Wert, der ihm beigemessen wird, hast sich erst in letzter Zeit von realen Sachwerten gelöst – er war naturgemäss schon immer mit Glaubenssätzen und den daraus gewonnenen Zielen und Utopien verbunden. Finanzmittel können dafür eingesetzt werden, die Existenz sicherzustellen, soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten, kulturelle Erneuerung auf den Weg zu bringen.
Sie können aber auch ohne gesellschaftliches Ziel einzig dem Zweck dienen, sich selbst zu vermehren.
… Schon die Katastrophe von New York am 11.September 2001 mit ihren globalen Folgewellen der Angst hat uns fragen lassen: Was bleibt, wenn alles schwankt?
Diese Frage tritt auch heute wie in jeder individuellen oder gesellschaftlichen Krise wieder zu Tage. Die Antwort ist immer dieselbe: Es sind die Beziehungen, in denen wir leben, die uns Halt geben. Familie, Freunde, unsere Kontakte in der Nachbarschaft und im Gemeinwesen: sie bilden das Sozialkaptial. Seinen Wert erkennen wir jedoch gerade in der Krise. …
Mehr, höher, schneller: Wie Wachstum scheitert
Seit etwa 150 Jahren beherrscht ein Entwicklungsmodell die westliche Welt, das die Komplexität des Lebens stark verkürzt. Demnach hätte jede Ursache Wirkung – und wenn wir nur den richtigen Knopf drücken, dann würde sich auch die erwünschte Wirkung einstellen.
Dieses Verständnis hat für Maschinen Gültigkeit – und hat sich nicht umsonst gerade mit deren Verbreitung durchgesetzt. …
Das Entwicklungsbild der westlichen Welt stimmt (also) nicht, wenn es um das Leben geht. Menschen können nicht per Knopfdruck verändert oder verbessert werden. Denn um Verbesserung geht es ja im Fortschrittsglauben – alles soll besser, schneller, effizienter, kostengünstiger oder attraktiver werden.
Der Wachstumswunsch der Fortschrittsgesellschaft zeigt ständig steil nach oben und erinnert peinlich an eine Dauer-Erektion, zu der sich Wirtschaft, Medien und Politik, aber auch Pädagogik und Medizin zu stetigem Wachstum und Fortschritt gezwungen sehen.
Da aber unser Herz noch immer im selben Rhythmus schlägt wie vor tausenden Jahren, und eine Schwangerschaft noch immer neun Monate dauert, zeigt sich: Wenn es um die wesentlichen Entwicklungen geht, macht das Leben keine Fort-Schritte, sondern bleibt ganz bei sich. …
Angst und Gier: Wurzeln des faulen Individualismus
Wenn ich hier vom faulen Individualismus rede, dann meine ich jene ungelenke Identitätssuche des westlichen Menschen, die im individuellen Glück das höchstmögliche Ziel zu erkennen glaubte – und damit immer mehr aus den Augen verlor, dass wir bei aller individueller Selbstwerdung immer auch in Beziehungen eingebunden und sozialen Netzwerken verpflichtet sind. …
Wer sich der Herausforderung der Vielfalt an Sichtweisen und Lebenskonzepten nicht stellen will, vertritt meist die Meinung: „Wenn nur alle so handeln würden, wie ich mir das vorstelle, wäre die Welt perfekt“, und ist damit für einfach gestrickte politische Verführung in hohem Mass empfänglich. Diese gibt ja vor, uns Frieden vermitteln zu können, weil sie uns anbietet, zwei Ungeheuer in unserem Inneren zu besänftigen, nämlich die Angst und die Gier. …
Die neue Bescheidenheit: Ein Schritt zurück schafft Überblick
Loslassen ist also angesagt. Balance zwischen den Phantasien der All- und Ohnmacht. Die neue Bescheidenheit, die diese Balance bewerkstelligen könnte, ist selbstverständlich keine Erfindung dieser Tage – Bescheidenheit war schon immer eine Zier: die Fähigkeit, zufrieden zu sein mit dem, was uns beschieden ist. …
Die neue Bescheidenheit verlangt jedoch nicht nur ein Weniger von dem, was wir uns bislang zu unserem Ergötzen geleistet haben, sie verlangt auch ein Mehr an Überblick, an Bereitschaft, das Wesentliche vom angeblich Wichtigen zu trennen – und damit ein Denken und Leben in Zusammenhängen. Was ihren Anspruch an uns betrifft, über den Tellerrand zu schauen, ist die neue Bescheidenheit also durchaus unbescheiden. …
Ein Blick zum Horizont
„In der blauen Stunde,“ erzählen die Fischer vom Peljesac, „in der Stunde zwischen Tag und Nacht, da tauchen die Delphine aus den Tiefen zur Meeresoberfläche empor, und wir sehen sie springen, damit sie die Sonne untergehen sehen. Ihr Blick richtet sich an den Horizont und öffnet ihnen weitere Ausblicke als auf das, was unmittelbar vor ihnen liegt.
Da heben wir den Kopf und wenden unseren Blick kurz von der Angel ab, von der Schnur, die in die unbekannte Tiefe führt, auf die Weite hin, in der wir geborgen sind. Und ruhig wird unser Atem.
In der blauen Stunde lernen wir von den Delphinen, dass wir Getragene sind.“